Unser Luis

Montag, 10. Juli 2017

So standen wir da nun, hatten das Ergebnis bekommen, das nichts gutes für unser Baby heißt. Niemand konnte sich das wirklich vorstellen. Ich konnte die Nächte nicht schlafen, hab das Gefühl durch zu drehen. Noch am Telefon machten wir einen Termin für Montag bei meiner Frauenärztin aus. Sie musste mir das Ergebnis noch persönlich mit den Untersuchungsergebnissen mitteilen. Als ich in den Behandlungsraum kam, hatte meine Ärztin Tränen in den Augen, ich sah, dass es auch ihr schwer fällt, die Fassung zu bewahren.
Am selben Tag hatten wir auch den Termin beim Genetiker. Auch diesen absolvierten wir, so wie es auf dem Plan stand.

Beide Ärzte konnten mir nur aus der Theorie vorlesen, hatten nicht wirklich mehr Infos als ich selbst, weil es bisher einfach kaum darüber geschrieben gibt. Wann wär es in der Schwangerschaft sichtbar, wie genau sind die Auswirkungen, ausser dass es eben letal heisst? Wie lang würde mein Baby die Schwangerschaft überstehen, hat es noch Auswirkungen für mich? Fragen die uns nur mit Vermutungen beantwortet werden konnten. Es heisst definitiv letal – also nicht lebensfähig, nicht mit dem Leben vereinbar. Nun bekamen wir von der Genetikerin den Brief mit der Erlaubnis, die Schwangerschaft nach der 12. SSW zu beenden. Von unserem Kleinwuchsverein und einem Arzt der sich auf die Genetik und Vererbung von Kleinwuchs spezialisiert hat bekamen wir die meisten Infos und es waren leider keine Guten…

Mittwoch, 12. Juli

Gleich morgens machten wir uns auf den Weg ins Krankenhaus. Nach ewigem hin und her, auf welcher Station ich jetzt untergebracht werde, dass ich ein Einzelzimmer bekomme und nicht mit Schwangeren oder frisch gebackenen Müttern konfrontiert werde, liege ich dann im Bett in einem Einzelzimmer und bekomme schon die erste Dosis Cytotec. Jetzt geht es also los. Ich bin unglaublich aufgeregt, ich hab so große Angst. Ich glaube ich konnte gar nicht richtig realisieren was da jetzt wirklich los geht. Die Ärztin meinte alle vier Stunden bekomme ich eine weitere Dosis.

Zuerst merkte ich nichts, dann begann ein leichtes Ziehen im Unterleib, wie bei der Periode. Ich bekam die zweite Dosis um 17 Uhr. Es tat sich nicht sehr viel, außer den „Periodenschmerzen“. Wir saßen im Zimmer, gingen immer wieder den Flur rauf und runter, versuchten etwas voran zu kommen. Immer wieder überkamen mich die Gedanken, dass ich bald ein Baby gebären würde, aber dann doch kein Baby bei mir haben würde.

Der Tag war morgens eigentlich recht schön, warm und sonnig. Kurz vor sechs zog sich richtig der Himmel zu und es begann zu regnen. Aus unserem Fenster im vierten Stock hatten wir eine schöne Aussicht auf ein schönes Stück grün mit vielen Bäumen, in weiter Ferne die nächste Stadt. Ich schaute den ganzen Tag viel aus dem Fenster, einfach in die Landschaft. In dem Moment als es anfing zu regnen kam ein so großer, klarer, doppelter Regenbogen, wie wir ihn noch nie gesehen haben. Wir mussten alle weinen und waren uns sicher, in diesem Moment hat sich unser kleiner Luis auf den Weg zu seinem Uropa Karl Heinz und seiner Oma Gisela gemacht.

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Um 21 Uhr sagten die Ärzte, dass wir morgen weiter machen um es nicht jetzt in der Nacht los gehen zulassen, ich soll schlafen. Meine Mama und Micha blieben beide die Nacht über da.

Donnerstag, 13. Juli

Am nächsten Morgen nach der ersten Dosis bekam ich eine leichte Blutung und hatte starke Rückenschmerzen. Mama wollte kurz nach Hause fahren um sich zu richten und ein paar wichtige Bürosachen zu machen. Micha blieb bei mir. Doch in den zwei Stunden die Mama weg war, tat sich einiges. Die Schmerzen wurden immer stärker, ich wusste nicht das das schon Wehen waren und ich dachte ich dreh durch, mein Rücken bricht. Micha versuchte Mama zu erreichen und ihr zu sagen, sie solle wieder kommen. Sie war schon auf dem Weg, ich konnte nicht mehr ruhig liegen bleiben, die Schmerzen machten mich verrückt, ich tingelte zwischen Toilette und Bett hin und her. Ich dachte immer wenn ich auf der Toilette bzw dem Toilettenstuhl saß wäre es besser, aber das waren nur zufälligerweise die Wehenpausen. Die Ärztin riet mir schon am Abend davor, nur auf den Toilettenstuhl zu gehen, denn in dieser frühen Woche, könnte es auch sein, dass beim auf Toilette gehen das Baby in der Toilette landet und das wolle sie mir ersparen, mein Kind dort raus zu holen.

Meine Mama kam gerade ins Zimmer herein, hat ihre Jacke ausgezogen und lief auf mich zu, als meine Fruchtblase platzte. Micha rief die Ärztin, die feststellte, dass die Füße von Luis schon aus dem Muttermund heraus schauen. Es wäre keine Zeit um in den Kreissaal zu fahren. Sie gab mir ein Schmerzmittel. Der Muttermund war ein bisschen offen, dass ich mit ein paar Presswehen Luis Körper gebären konnte. Meine Mama massierte mir die ganze Zeit den Rücken, unterstützte mich beim Atmen während den Wehen und hielt mit einer Hand noch den Körper von Luis, dass er nicht so auskühlt und der Kopf nicht abreisst! Sie übernahm die Aufgaben einer Hebamme.
Die ganze Geburt über war keine Hebamme da. Eine Assistenzärztin saß an dem Tisch im Zimmer. Eine Hebamme lugte mal kurz ins Zimmer, schloss dann aber die Türe direkt wieder und ging. Ich musste ein paar Wehen ausharren, bevor ich wieder pressen sollte, denn sein Kopf kam noch nicht durch den Muttermund. Mittlerweile war eine Oberärztin mit im Zimmer. Als sie da war sagte meine Mama ich soll pressen. Was ich zu dem Zeitpunkt nicht wusste, die Oberärztin zog an Luis Körper um den Kopf heraus zu bekommen! Es hätte sein können, dass sie seinen Kopf abreist! Mama hat das alles beobachtet, wie sie an seinem Körper zog und wie sich sein Hals lang zog, also legte sie mir mit deutlichem Druck nah, zu pressen so gut ich kann. Ich presste also wie ich nur konnte.

Mit der nächsten Wehe kam dann auch sein Kopf. Zum Glück. Micha stand die ganze Zeit bei meinem Kopf und atmete mit mir durch die Wehen, streichelte mir die Stirn. Als Luis geboren war, nahm ich mir eine Sekunde Zeit um Luft zu holen und mich auf ihn einzustellen. Die ganze Geburt durch war ich auf den Knien im Bett gehockt, mit den Armen an das hochgestellte Bett gelehnt. Ich drehte mich auf den Rücken um mein Baby zu mir zu nehmen. Er war ganz rot und leider auch schon recht kalt. Er war gerade ein bisschen mehr als meine kleine Hand voll. Ich musste weinen, als ich ihn ansah, aber ich war so glücklich, dass er so friedlich aussah! Luis hatte wirklich ein Lächeln auf dem Gesicht, so eine süße kleine Stupsnase, so mini Händchen, die meine Fingerspitze nicht ausfüllten und einfach alles was ein Baby hat. Als ich ihn in meiner Hand hielt, kam die Ärztin mit einer Nierenschale und Urinunterlagen darin und legte meinen Luis in diese Schale. Mit der nächsten Wehe, kam dann die Plazenta raus und die Ärztin hielt sie kurz hoch, untersuchte sie und wickelte dann die Nabelschnur um ihre Finger und riss sie einfach auseinander! Ich wusste nicht recht was da gerade passiert. Sie legt mein Baby in eine Spuckschale mit Urinunterlagen darin, reißt einfach seine Nabelschnur ab! So entwürdigend wurde mein Baby behandelt, ich wusste in dem Moment einfach nicht was wir dazu sagen sollen, wir waren so schon mit der ganzen Situation überfordert.

Zum Glück kam dann aber gleich eine so liebe Hebamme, die meinte sie würde den Luis kurz mitnehmen, waschen und ihn in was schönes einpacken, dass er nicht in dieser Urinunterlage bleiben muss.

Sie brachte Luis in einem kleinen weißen Särgchen wieder. Sie hat ihn gewaschen, seine Hand- und Fußabdrücke genommen, ihn vermessen und gewogen. Die Hebamme hat ihm eine kleine gelbe Mütze angezogen und in ein Einschlagdeckchen eingepuckt. So wie man es mit Babys macht. Sie hat kleine Erinnerungsstückchen und ein Kuscheltier für Luis in sein Bettchen gelegt und ihm kleine Perlenengel und ein Armkettchen gebastelt. Ich war dieser Hebamme so dankbar, wie lieb sie sich um Luis gekümmert hat und auch um uns dann. So konnten wir schöne Fotos von unserem Luis machen und haben so schöne Erinnerungen von ihm. Auch wenn ich die Bilder von ihm in der Nierenschale und das Geräusch wie seine Nabelschnur einfach durch gerissen wurde, wohl nie aus dem Kopf bekommen werde, hab ich so auch ganz schöne Bilder von meinem Baby.

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Unser kleiner Luis wurde am 13. Juli um 13:42 Uhr mit 90 Gramm und 14cm geboren.

Der Klinik-Seelsorger, kam direkt nach der Geburt zu uns ins Zimmer und segnete und taufte unseren kleinen Jungen. Er wartete die ganze Geburt über, als wir wussten, dass Luis bald da sein würde, vor unserem Zimmer und hat für uns gebetet.

In dieser ganzen, schweren Situation bin ich über den Seelsorger Herr Esslinger und die Hebamme Annkathrin so unglaublich dankbar! Diese Beiden waren wirklich ein Geschenk. Herr Esslinger hat uns seine Kontaktdaten gegeben und auch die Beerdigung von Luis geleitet und so schön gemacht.

Ich bin meiner Mama so dankbar, dass sie die Geburt mit mir durch gemacht und mich da durch gebracht hat. Sie war die beste Unterstützung die ich haben konnte. Für sie war die Geburt leider auch etwas traumatisch, durch den Anblick, der Aktion der Ärztin und die ganze Last die sie trug. Sie übernahm während der Geburt den Job der Hebamme, was sie aber nicht gelernt hat. Danke Mama!

4 Gedanken zu “Unser Luis

  1. Liebe Nadine, ich wünsche dir und Micha von Herzen, dass ihr ein Baby bekommt, das bei euch bleibt.

    Deine Geschichte hat mich tief bewegt. Ich trauere mit euch um Robin und Luis und gleichzeitig fühle ich eine Wut in mir über die Gefühllosigkeit dieser Ärztin.

    Ich bewundere dich dafür, dass du durch eine solche Geburt gegangen bist, und dennoch den Glauben nicht verlierst.

    Danke, Nadine, du inspirierst mich, auch, wenn ich weiß, dass du viel lieber keine Quelle der Inspiration, sondern einfach Mutter eines quiekenden kleinen Säugling wärest.

    Herzliche Grüße
    Katharina

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