Schlaflos

Heute ist die zweite Woche vorbei, in der ich zurück bei der Arbeit bin. Ich war 18 Wochen im Mutterschutz. Ich habe mir die Zeit genommen und versucht nur zu tun, was mir gefällt, mich glücklich macht. Ich habe nicht „gefaulenzt“ oder bin in der Wohnung eingegangen. Manche Tage habe ich mit nichts tun verbracht, manche mit weinen, mit schlafen. Ich habe mich mit meinen Neffen beschäftigt. Andere kleine Kinder oder Babys waren schwer zu ertragen. Schwangere Frauen haben mir die Kehle zugeschnürt.

18 Wochen, in denen ich meine Trauer und meinen Verlust erlebt und überlebt habe. Ich hab mich damit auseinander gesetzt, nur damit, nur mit mir und meinen Babys.Nach diesen 18 Wochen haben viele erwartet, dass „diese Phase“ vorbei ist. Sie muss vorbei sein. Jetzt geht der Alltag weiter. Es muss. Ich muss wieder zur Arbeit. Aber nach diesen 18 Wochen ist nichts vorbei. Jetzt beginnt es erst! Jetzt beginnt der Alltag, der eigentlich ganz anders sein müsste! Ich möchte nicht arbeiten gehen, weil ich eigentlich gar nicht arbeiten sollte. Ich sollte mich entweder um einen acht Monate alten Luis kümmern, oder jetzt mit meiner riesigen 40ste-Woche-Kugel die aktuelle Hitze hier irgendwie überstehen. Aber beides ist nicht der Fall, Luis kam am 13.7. anstatt am 31.12. und Robin kam am 18.3. und nicht am 9.8. zur Welt. Ich gehe also wieder arbeiten, als wäre ich nie schwanger gewesen.

In meinem Kalender stand auf einer Doppelseite, auf der linken Seite, Montag: „Mutterschutz vorbei“ und auf der rechten Seite hatten wir voller Hoffnung ca 25 Wochen vorher für Donnerstag: „schönes Kaiserschnitt-Datum?“ eingetragen. Jetzt ist mein Mutterschutz also vorbei. Kaiserschnitt war nicht. Es macht mich fertig. Es kann doch nicht sein, dass ich jetzt einfach arbeite und der Alltag weiter geht, als hätte die Zeit und die ganzen Ereignisse, die positiven Schwangerschaftstests, die Ultraschalluntersuchungen, Verkündungen, unglaubliche Freude, schlimmster Schmerz und zwei Geburten, zwischen April 2017 und jetzt nie stattgefunden.

Aber das alles ist passiert. Ich bin nicht an unserem Schicksal zerbrochen, ich bin stark, stärker geworden. Ich bin Mutter geworden, von zwei unglaublichen, starken Jungs. Ich habe zwei Kinder, die immer bei mir sind. Die durch mich leben. Jetzt geht der Alltag los, anders als er sollte, aber trotzdem immer mit meinen Jungs bei mir. Anders als geplant, aber nicht so, als ob Robin und Luis nicht existiert hätten. Ich muss weiter machen, auch wenn ich es mir anders vorgestellt habe.

Der errechnete Entbindungstermin von Robin ist in wenigen Tagen, seine Geburt heute aber schon 20 Wochen her.

Es ist nicht so, dass ich einfach nicht arbeiten möchte, mein Antrieb, meine Motivation ist wohl irgendwie, ein bisschen mit Robin mit in den Himmel aufgestiegen. Der Alltag ist einfach schwer. Eine Praktikantin fragte mich, ob ich Kinder habe, ich hab mit der Frage nicht gerechnet, sage überfordert „nein“, das sticht mir direkt ins Herz, ich fühle mich so schlecht mit diesem Nein. „Ich habe Kinder, natürlich, zwei tolle Jungs, ich habe sie natürlich zur Welt gebracht, aber still“ will ich sagen, weiß aber, wenn ich das sage, kann ich mich bei weiteren Fragen nicht erklären, ohne zu weinen. Ich will mich ihr nicht erklären, kann es aber so nicht stehen lassen und meine Jungs leugnen. Ich sage

„Ich habe zwei Sternenkinder!“

„Ach schön, ja, das ist toll, solche Patenschaften“

„Nein, das ist keine Patenschaft“

Stille.

Ich atme tief durch, sass mit dem Rücken zu ihr, legte meinen Kopf kurz an der Nähmaschine an. Ich setzte mich an meinen Schreibtisch und sagte meinem Chef, dass er es ihr heute nicht erklären soll, es war erst Dienstag und sie war bis Freitag da. Ich könnte nicht die restlichen Tage ihr Mitleid und diesen „das-tut-mir-aber-leid-Blick“ ertragen. Er meinte, er hätte vor mir auch nicht gewusst, was Sternenkinder sind und ich ihr das nicht hätte sagen müssen. Ich hätte einfach nein sagen können. Aber ich als Sternenmama muss euch sagen, doch ich musste ihr das sagen, ich hätte es nicht bei einem Nein belassen können. Ich stell mich nicht vor als „Nadine, Sternenmama“ oder „Hallo ich bin Nadine, Mutter von Robin und Luis“ und erkläre dann nicht, aber auf diese Frage, ob ich Kinder habe, kann ich nicht mit nein antworten, auch wenn ich danach vielleicht nicht erkläre oder erzähle. Das muss dann gegebenenfalls einfach so hingenommen werden.

Ein Busfahrer fragte mich, wo ich gewesen wäre, er hätte mich morgens schon vermisst. Ich sagte ihm einfach, ich war lang im Urlaub. Er wird sicher nicht die Wochen gezählt haben. Die Verkäuferin aus dem Supermarkt neben unserem Laden meinte „Du musst jetzt aber erholt sein, so lang wie du weg warst! Bist dafür aber gar nicht braun geworden…“ Mhmm… ich grinse sie nur gekünstelt an, sie ist zufrieden damit als Antwort.

Das ist jetzt der neue Alltag mit meinen Jungs. Es geht nicht weiter wie vorher, als gäbe es sie nicht. Es geht weiter, mit Ihnen, nicht an meiner Hand. Sie werden dennoch immer präsent bleiben. Ich werde, wenn ich kann immer weiter über sie reden, ihre Geburtstage feiern, mit allen die mitfeiern möchten und ihre Geschwister irgendwann, werden auch von Ihnen erfahren.

Danke N.❤️ für diesen kleinen Denkanstoß!

In wenigen Tagen ist Robins errechneter Entbindungstermin, das liegt mir im Moment schwer auf den Schultern, macht mir schlaflose Nächte und wirre Träume. Robin ist gefühlt schon ewig nicht mehr bei mir, aber eigentlich wäre ich noch schwanger, fast am platzen… jetzt hat er es auf jeden Fall nicht so eng, wie er es eigentlich hätte und hat seinen Bruder bei sich.

Ein Gedanke zu “Schlaflos

  1. Ich wünsche dir ganz viel Kraft. Geh nicht in jede Diskussion. In starken Momenten kannst du anders reagieren, als wenn dir so oder so schon alles über den Kopf wächst. Uns allen Muttis von Sternenkindern ist das wohl gemein — unsere Kinder sind immer bei uns; auch, wenn sie für andere nicht sichtbar sind. Manchmal antworte ich mit „2 Kinder“. Manchmal antworte ich mit „3 Schwangerschaften, 2 lebende Kinder“. Und manchmal auch noch anders. Wir sind stark, und wir können in diesen starken Momenten wesentlich dazu beitragen, dass das Bewusstsein für Sternenkinder wächst. Und wir brauchen uns dennoch nicht schlecht zu fühlen, wenn wir mal nicht darüber reden wollen. Denn es sind unsere Erfahrungen mit unseren Kindern. Andere müssen das akzeptieren.

    Sei stark. Liebe Robin und Luis. Und wecke Bewusstsein für sie, wenn es dir gut tut — aber nicht, weil du denkst, sie würden es dir sonst übel nehmen. Deine Jungs verstehen dich am allermeisten in dieser Situation. Sie lieben dich. Sie nehmen dir nichts übel.

    Von Herzen alles Gute,

    Katharina

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