Ich pack es nicht.
Eigentlich wollte ich etwas für mein Baby zum Geburtstag schreiben. Aber ich packe es nicht. Ich hab keine Kraft. Seit einem Jahr, keine Kraft. Ich mache jetzt Crossfit, fühl mich schon fitter, kann schon mehr Gewicht heben und tragen, mehr Push ups und Sit ups machen, mehr Burpees am Stück, aber ich habe trotzdem keine Kraft mehr. Ich arbeite weniger, obwohl wir das Geld gut brauchen könnten. Doch ich schaff nicht mehr. Ein Jahr ist vergangen, das jetzige Jahr schon wieder fast vorbei. Damals dachte ich, würde heute ganz anders aussehen. Doch gefühlt ist mir nur die Zeit vergangen und verändert hat sich nichts. Ich bin nicht schwanger und ich habe keine Kinder hier bei mir. Micha sitzt noch im Rollstuhl und das wird auch so bleiben, die Sehnsucht endlich richtig Mama zu sein, hat hoffentlich irgendwann ein Ende.
Eigentlich hatte ich vor langer Zeit geplant einen Geburtsbericht von Filip heute zu seinem Genurtstag zu veröffentlichen, aber ich lieg im Bett, schau mir seine Bilder an, lese die Nachrichtenverläufe von damals durch und weine. Ich schreibe ein Wort und lösche es.
Zurück zu den Bildern. Unglaublich, wie hübsch du bist…
Dann zu den Nachrichten, die ich bekommen und geschrieben habe im Krankenhaus, Papa schickte eine Sprachnachricht
„Wie sieht’s aus, geht’s voran? Ich denk an euch. *kussschmatzergeräusch* Ich habe heute die Weihnachtsdeko aufgestellt“
Es ist der erster Geburtstag.
Schon.
Oder der Jahrestag.
Heute vor einem Jahr ist mein dritter Sohn gestorben. Und geboren. Beides am selben Tag nur 4 Stunden nacheinander.
Am 14. Dezember bin ich ins Krankenhaus gegangen. Mittags hab ich eine erste Tablette bekommen, die meinem Körper sagen soll, dass ich nicht schwanger bin. Obwohl ich es war. In der 21. Woche, mit meinem dritten Sohn.
24 Stunden nach der ersten Tablette geht es weiter mit anderen Tabletten. Hoch dosiert, alle 4 Stunden 4 Stück. Die erste Dosis löst Unterleibskrämpfe aus, es fühlt sich schon unangenehm an, geht aber. Die nächste Dosis verstärkt die Krämpfe zu Wehen. Ich muss schon immer wieder eine veratmen. Der Muttermund öffnet sich, aber deutlich langsamer als die Wehen voran gehen.
„Macht ihr Fortschritte?“
„Ja aber nur kleine“
Vier Uhr dreißig am Morgen. Die Schmerzen werden so stark, dass ich mich im Bett hin und her wälze und keine angenehme Position finde. Mama bringt mich in die Dusche und massiert mir den Rücken. Der Muttermund bewegt sich nicht weiter als 1-2cm…
Dann kommen Patrick und Isa. Ich bin erleichtert und froh, dass sie da sind. Ich wollte Patrick unbedingt dabei haben, wenn Filip geboren wird. Ich wollte Bilder für mich haben, die Bilder für Filip und für Micha, dass er sich die Bilder anschauen kann und ein bisschen das Gefühl, als wäre er dabei gewesen. Ich war so froh, dass er mich in dieser Situation fotografisch begleiten würde und hatte während den Wehen schon Angst, dass er zu spät kommt. In dem Moment dachte ich dann, ok, jetzt kann es los gehen. Die Wehen waren echt stark und schmerzhaft, ich hatte aber auch Schmerzmittel bekommen. Um sechs Uhr morgens war der Muttermund bei der Untersuchung bei vier Zentimeter und die Wehen so, dass ich das Gefühl hatte, pressen zu müssen. Ich musste pressen, der Druck nach unten war so groß. Eine Hebamme kam herein und untersuchte mich. Sie fühlte, wie sich die Fruchtblase herausdrückte und meinte ,sie hat jetzt eigentlich Feierabend, aber sie wartet jetzt noch kurz, bis die nächste Schicht da ist, die Fruchtblase würde bald platzen. Und genau das tat sie dann auch, die Hebamme. Sie setzte sich auf die Kante vom Bett, wartete und beobachtete mehr oder weniger, wie meine Mama mit mir die Geburt durchstand. Die Fruchtblase platzte dann auch, so wie die Hebamme meinte.
„Es geht los“
„Die Fruchtblase ist geplatzt“
Der Druck und die Schmerzen ließen sofort nach. Eine kurze Wehenpause. Ich war unendlich traurig weil Filips leben in diesem Moment so endgültig war. Ich wusste, dass mein so aktives Baby im Bauch außerhalb meines Bauches nicht aktiv und nicht lebendig sein kann. Sein Schutz, in dem er schwamm wurde weggespült. Gleichzeitig hatte ich mich nach dieser kurzen Wehenpause auch gesehnt, da ich von Robins Geburt wusste, dass nach dem Blasensprung eine kurze Wehenpause eintritt.
Die Hebamme die damals Robin entbunden und sich auch schon um Luis gekümmert hatte war übrigens in diesem Moment im Mutterschutz. Ich freute mich für sie, hatte aber gehofft, dass sie da sein würde. Aber die Hebamme, die Dienst hatte, war leider nur da und hatte ihren Feierabend im Kopf oder ihren Kopf im Feierabend.
Ich war so kaputt und müde, die ganze Nacht durch hatte ich Wehen und nicht geschlafen.
Mit der ersten Wehe nach dem Blasensprung wurden Filips Beine geboren. Mit der nächsten Wehe kam sein Kopf. Da lag er, zwischen meinen Beinen. Seine Nabelschnur war ganz kurz. Ich wollte ihn halten, wärmen und beschützen, aber die Nabelschnur war noch zu kurz. Mama hielt ihn und versuchte ihn mir so nah es ging zu reichen. Sie legte ihn auf meinen Bauch und deckte ihn zu, versuchte ihn warm zu halten. Seine Arme und Beine bewegten sich ganz leicht. Ich wollte die Plazenta nicht raus pressen, dass er so lang wie möglich noch mit mir verbunden ist, aber mit einer weiteren Wehe kam sie komplett heraus. Endlich konnte ich Filip in meine Hände nehmen, ihn küssen und anschauen. Ich legte ihn auf meine Brust und deckte ihn mit seinen Tüchern zu. So ein wunderhübsches Baby, nur ein bisschen zu dunkelrot, sonst ein komplettes Baby in Miniatur. Sein Herzschlag war direkt super schwach spürbar.
Noch als ich zuhause war, hatte ich genau geplant, was ich in diesem Moment alles unbedingt tun wollte. Er sollte auf jeden Fall ein angenehmes Bad bekommen und vorsichtig gewaschen werden. Seine Fuß- und Handabdrücke sollte genommen werden und natürlich alle Maße und Werte. Als ich ihn badete fing er an, mit den Beinen ganz leicht zu treten. Wir dachten er sei schon eingeschlafen, aber er zeigte uns, dass er noch bei uns war. Es war so schön und schrecklich zu gleich. Ich hatte mir so große Vorwürfe gemacht, dass ich dachte er wäre schon tot, obwohl er noch lebte. Ich war so wütend, dass wir die ganze Zeit von der Klinik alleine gelassen wurden, nachdem Filip da war und ich die Nabelschnur durchschnitt, ging die beobachtende Hebamme und niemand kam mehr zu uns. Niemand professionelles hat nach Filip geschaut.
Nach dem Baden wickelte ich ihn in die Kleidung und die Tücher, welche ich für ihn vorbereitet hatte, legte ihn auf meine Brust und wir waren uns ganz sicher, versicherten uns mehrmals, dass er dann eingeschlafen war. Am liebsten wäre ich mit ihm gegangen, aber ich blieb hier und musste erstmal mit ihm in meinen Händen ein bisschen schlafen.
Jetzt ist es kurz nach drei Uhr morgens, in der Nacht deines Geburtstages. Vor 365 Tagen lag ich im Krankenhausbett und hatte Wehen. Aber ich hatte auch noch Dich. Jetzt lieg ich hier. Ohne dich. Kraftlos. Am Ende meiner Kräfte. Du hast sie in dieser Nacht mit dir genommen, sie kamen nicht wieder zurück. Die Zeit ist für mich stehen geblieben. Meine Hoffnung baut sich nicht wieder auf. Um mich herum dreht sich die Erde für alle anderen weiter. Keine Lichtblicke. Unendliches warten.
Kinderlos, kein Ende in Sicht.
Das Jahr ist bald vorbei, ich hoffe auf nichts im nächsten Jahr und nicht im nächsten Monat.
Ich lasse es einfach auf mich zu kommen, wie es kommt. Erlebe einen Tag nach dem anderen, so wie er ist.
Ich habe drei Kinder, im Himmel?Irgendwo. Im Herzen immer! Viel in meinen Gedanken.
Danke Filip für deine Zeit
Ich liebe Dich